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04 April 2025

Ein Jahrhundert der Knef
von Grzegorz Supady

Foto aus: https://www.amazon.pl/      Als leidenschaftlicher Liebhaber von verschiedenen Kultursendungen harre ich            jeden Sonntag bis spät in die Nacht aus, um mir „Titel, Thesen, Temperamente‘,              allmonatlich auch dasdaran anschließende Büchermagazin „Druckfisch“ von                  Denis Scheck, anzusehen.
        Am 23. März dieses Jahres besprach man bei „ttt“ unter anderem einen neuen              Dokumentarfilm über Hildegard Knef, eine deutsche Schauspielerin und                         Chansonistin, die im deutschen Sprachraum Marlene Dietrich, in Polen vielleicht           der Sängerin Ewa Demarczyk, am nächsten steht. Der Film „Ich will alles.                          Hildegard Knef“ wurde von Luzia Schmid gedreht und erlebte auf dem letzten               Berlinale Premiere.

      Am darauffolgenden Tag habe ich darüber etwas mehr recherchiert, sodass ich bald heraus finden konnte, dass der eigentliche Anlass zur Entstehung des Filmes der 100. Geburtstag der Knef, wie sie oft im Volksmund schlicht genannt wird, war.
Als nächstes kam mir in den Sinn, eine Autobiografie dieser 2002 verstorbenen Künstlerin in einer Bibliothek gesehen zu haben. Infolgedessen konnte ich mich schnell in eine spannende Lektüre des erstmals 1970 herausgebrachten Buches „Der geschenkte Gaul“ vertiefen.
Von Anfang an verläuft sie nach einem Alfred Hitchcock entlehnten Motto: „A good film should start with an earthquake and be followed by rising tension" (Ein guter Film soll mit einem Erdbeben anfangen, dem eine immer spannendere Handlung folgen soll). Zugegeben, obwohl ich mit dem Lesen dieses Buchs noch lange nicht fertig bin, möchte ich hiermit schon jetzt den Großvater der Knef mütterlicherseits kurz vorstellen.

Und das aus dem folgenden Grund: Karl Groehn (1865-1946) war aus Masuren gebürtig! Daher will ich hiermit einige längere Passagen aus der Autobiografie anführen, um diese wohl interessante Tatsache zu belegen, zumal Karl Groehn keine unwesentliche Rolle im Leben
Foto aus: https://www.amazon.pl/
von Hildegard (Hilde), übrigens ähnlich wie es im Leben des österreichischen Schriftstellers Thomas Bernhard der Fall war, spielte.
Die Verfasserin von „Der geschenkte Gaul“ leitete ihre inhaltsreichen Erinnerungen gerade mit der Geschichte rund um ihren geliebten Opa ein:
„Liebeserklärungen meinen Großvater.
Meiner hieß Karl, er war mittelgroß und genauso kräftig, wie er aussah. Ertrug den Kopf sehr gerade, die Wirbelsäuleauch, und er hatte einen großen Mund mit vielen Zähnen; er hatte sie noch alle 32, als er mit 81 Jahren Selbstmord machte“ (S. 5).
Dann setzte die Autorin die Ausmalung des Portraits ihres Vorfahren folgendermaßen fort:
„Er war polnisch-ostpreußischer Abstammung, er sprach selten über seine Familie, sehr mühsam fand ich heraus, dass sein Vater sämtliche Güter verspielt und versoffen hatte, dass seine Mutter während einer Schwangerschaft einen Nervenzusammenbruch hatte und die Tochter, die darauf zur Welt kam, sechzehn Jahre später verrückt wurde […]“ (S. 5).
So schilderte die Verfasserin ihre jugendlichen Begegnungen in der Wohnung ihres Großvaters:
„Wir saßen an dem großen Tische, ich auf dem alten Sofa unter der krächzenden Uhr, die Hängelampe war mit Tüchern verbunden wie ein verletztes Kuheuter. Erst musste ich essen, und während ich kaute, fing er an, zu erzählen… Ganz früher, als ich seine Worte noch nicht verstand, hatte er mir erzählt, und jetzt wieder: von seiner Jugend und den masurischen Seen, über die man im Winter mit von Pferden gezogenen Schlitten rasen konnte, von dem Gymnasium, das er nach dem Zusammenbruch des Vaters in Holzpantinen besuchen musste und von den anderen, noch reichen Verwandten, die die plötzlich verarmten Kinder auf ihre Güter holten, um sie dort auf den Feldern schuften zu lassen und in die Dorfschule zu stecken… er hatte nichts vergessen, und sein Hass und seine Trauer waren so frisch wie damals, als er vor diesen Verwandten nach Berlin flüchtete. Dann sang er leise ein polnisches Lied, das ich oft von ihm gehört hatte und dass er mir nie übersetzt hatte. Er trank nicht gern Alkohol, aber nach dem polnischen Lied gab es immer Rotwein, das war schon früher so gewesen […]“ (S. 13).
Schon diese Auszüge geben genug Auskunft über die sozialen Verhältnisse in Deutschland vor dem Hintergrund des Ersten Weltkrieges. Es ist allerdings sehr schade, dass der genaue Herkunftsort von Karl Groehn unbekannt bleibt und dass es nicht überliefert wurde, um was für ein polnisches Lied es sich handelte, das so oft von Hildegard Knefs Großvater in seinen schwermütigen Stunden vorgesungen wurde. Die Autorin erwähnt an
sonsten noch eine Klavierlehrerin, die in demselben Haus wie ihre eigene Familie in Berlin wohnte. Diese soll regelmäßig das „Gebet einer Jungfrau“ sowie das „Wolgalied“ vorgetragen haben. Beim ersteren Musikstück geht es übrigens um ein seinerzeit sehr bekanntes
Klavierwerk der polnischen Komponistin Tekla Bądarzewska (1823-1861). Beim anderen geht es um eine Arie aus der Operette „Der Zarewitsch“ von Franz Lehàr, dessen Libretto nach dem gleichnamigen Stück von Gabriela Zapolska entstanden war. Schon diese zwei Beispiele zeugen davon, wie sehr sich der polnische und der deutsche Kulturkreis auch zu jener geschichtsträchtigen Zeit überschnitten hatten.
Über die traurigen Beweggründe, die zum Selbstmord ihres Großpapas führten, berichtete Hildegard Knef, indem sie sich an ihr kurz nach Kriegsende stattgefundenes Debüt im Berliner Theater „Tribüne“ erinnerte:
„[…] vor der Vorstellung kam eine Frau auf einem verrosteten Fahrrad und brachte mir einen Brief; er war sehr dick und hatte keinen Absender und keine Anschrift. Er fing an: „Mein geliebtes Kind, ich bin zu alt, um die Grausamkeiten vergessen zu können und auch um dir nützlich zu sein…“, und er hörte auf: „… vielleicht wirst Du mich eines Tages verstehen und mir verzeihen…“. (S. 14)

 

 

 

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