Das Nationalmuseum Lublin im Osten Polens zeigt derzeit die größte Ausstellung der polnisch-jüdischen Malerin Tamara Lempicka. Von ihrem „Selbstporträt im grünen Bugatti“ bis hin zu späten Gemälden wie „Venedig im Regen“ können über vierzig Originalwerke bis Mitte August gesehen werden. Danach wandert die Ausstellung „Tamara Lempicka – Eine Frau auf Reisen“, wie sie betitelt ist, nach Konstancin südlich von Warschau. Lempickas Gemälde haben eine enorme Anziehungskraft; Madonna hat sie gekauft, Barbara Streisand und Jack Nicholson. Sie benutzte gerne polierte Pastellfarben und setzte ihre Modelle in leicht geometrische, kubistische Formen, in mutige, provokative Posen, oft Akte. Sie zeigte Frauen, die mit dem Zeitgeist gingen. Lempicka gilt als Ikone des Art déco, also der Kunstrichtung Anfang des 20. Jahrhunderts, bei der die Eleganz der Form, die Kostbarkeit der Materialien, die Stärke der Farben und die Sinnlichkeit des Themas im Vordergrund stehen.
Der Alltag interessierte Lempicka nicht; dafür umso mehr die suggestive Kraft der Kunst. Sie selbst als Person spielte dabei ebenso eine Rolle. Zwischen einem Filmstar und einer Frau des Erfolgs schwankt das Bild, das sie in der Öffentlichkeit abgab, umgeben von Diamanten, teuren Autos und einer Reihe von Verehrern. Sie fabulierte gerne und baute einen Mythos um ihr Leben auf. „Ihre fantastische Geschichten hört man schon gern, aber man darf sie nicht ganz für voll nehmen; das Meiste ist nämlich nicht wahr“, unterstreicht Łukasz Wiącek, Kurator der Lubliner Ausstellung: „Lempicka hat genial manipuliert, ihre Legende bewusst aufgebaut, um zu einem Ziel zu kommen. Sie musste nämlich ihre Familie ernähren. Sie wollte keine einfache Malerin werden, die Kunst für die Kunst schafft; sie wollte in Erscheinung treten und ihre Werke an die Reichen dieser Welt teuer verkaufen“.
Geboren 1898 in Warschau, damals Teil des Russischen Reiches, in einer polnisch-jüdischer Familie, sah sich Tamara Lempicka als eine Kosmopolitin, die nicht religiös war. „Originalität, Unabhängigkeit, Selbstgenügsamkeit“ – waren ihr Motto. Umgeben vom Patriarchat und von bestimmten gesellschaftlichen Regeln, versuchte sie sich an einem selbstbewussten, emanzipierten Leben. Sie war sich sicher, dass sie mit männlichen Malern um Anerkennung und Position wetteifern konnte.
Sie studierte an der Akademie der Künste in Sankt Petersburg und an einer Kunstakademie am Montparnasse. In Paris feierte sie auch ihre ersten Erfolge. Den wahren Durchbruch brachte 1925 die Internationale Ausstellung für moderne dekorative und industrielle Kunst, die später dem Stil Art déco ihren Namen gab.
Die blühende Industrialismus-Ära kam ihr entgegen. Schnelle Autos, moderne Baustile, erotische Freiheit prägten die goldenen zwanziger Jahre und den Beginn der 30er. Lempickas „Junges Mädchen in grün“, entstand im Übergang dieser zwei Jahrzehnte, es kann als Synthese der damaligen Zeit gelesen werden. Das grüne Kleid ist eine Karosserie: „Ich glaube, sie zeigt uns darin eine junge, befreite Frau, die das Korsett der kulturellgesellschaftlichen Normen los wird“, sagt Wiącek: „Das Kleid verschmilzt mit der Frau und unterstreicht ihre Reize; sie wird zu einer Maschine, vielleicht zu dem grünen sportlichen Bugatti aus dem anderen Gemälde. Es wird nicht nur durch die sportlichen Linien und kubistischen Formen des porträtierten Körpers unterstrichen, sondern auch durch die Handschuhe, 3/4 lang – ein typisches Accessoire für damalige Autofahrer“.
Lempicka arbeitete akribisch, fokussiert auf das Gemälde: Eine dreiviertel Stunde malen, eine viertel Stunde Pause. Das war die Zeit für einen Kaffee, eine Zigarette, ein vertieftes Gespräch mit dem Modell. Sie wollte nämlich, dass ihre Werke ihren besonderen Bund mit dem Modell widerspiegeln. Gerne malte sie Vertreter der finanziellen Elite, des vergehenden Adels sowie Tänzerinnen und Stars der Pariser Nachtklubs.
All das zeigt und erklärt die Lubliner Ausstellung. Ihre Idee ist, die Künstlerin vor dem Hintergrund aller ihrer Lebensstationen zu kontextualisieren. Wie an ein sich durch die Zeit ziehendes Band werden Lempickas Werke angegliedert – die jungen Jahre in Warschau und St. Petersburg, dann Frankreich, Italien, die USA, schließlich Mexiko. Sie war ständig in Bewegung, oft auch auf der Flucht. Nur durch einen glücklichen Zufall ist sie den Nazis entkommen, während sie sich 1939 illegal in Deutschland aufhielt. Łukasz Wiącek: „Einer der verhörenden Polizisten hat in Tamara die Künstlerin erkannt, deren Werke seine Frau in den Frauenmagazinen sah. Er bat sie um ein Autogramm und verhängte eine Geldstrafe, statt sie ins Gefängnis zu schicken. Wir wissen ja, was dies am Ende der dreißiger Jahre für sie bedeutet hätte. Wie sie später immer wieder erzählte, war das faktisch der entscheidende Anlass, warum Tamara den alten Kontinent verlassen wollte“.
Die Ausstellung will hinter das Bild der Tamara Lempicka als legendenumwobene Malerin des Art déco blicken und zeigt sie auch als geniale Beobachterin ihrer Epoche, die kleinste Veränderungen in ihren Bildern festhielt, auch die weniger optimistischen.
Wie zum Beispiel in zwei Werken, die mit menschlichen Tragödien zu tun haben. Ihre Titel sind „Flüchtlinge“ und „Flucht irgendwo in Europa“: „Es sind außergewöhnlich stechende und traumatische Bilder. In ihnen zeigt uns Lempicka große Angst, Schmerz, die Verluste, die Menschen erleiden, die vor einem Krieg flüchten. Seitdem die Bilder 1931 und 1940 entstanden sind, finden in jeder Ecke unserer Erde irgendwelche bewaffnete Konflikte statt...“, so der Ausstellungskurator.
In diesem Kontext ist die Ausstellung „Tamara Lempicka – eine Frau auf Reisen“ nicht nur eine Hommage an eine große Malerin, sondern auch ziemlich aktuell. Es ist schwierig, die ereignisreiche Lebensgeschichte der Künstlerin von dem zu trennen, was derzeit hinter dem Bug passiert; dem Fluss, der die Europäische Union von der Ukraine und Belarus trennt. Es lohnt sich, sie aus verschiedenen Perspektiven zu sehen...
Tamara Lempickas „Junges Mädchen in grün“, Öl auf Sperrholz, 1927–1930 in der Ausstellung in Lublin, fot. © Arkadiusz Luba
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