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27 December 2025

Im Westen nichts Neues?

 

 

Piotr Pytlakowskis Buch„Ihre Mütter, unsere Väter. Eine unbequeme Geschichte Nachkriegspolens“, Warschau 2020

 

von Grzegorz Supady 

 

 

 

In seinem letzten Buch präsentierte Piotr Pytlakowski (1951-2024) Themen, die sich hauptsächlich auf die Pionierzeit der polnischen Besiedlung in Schlesien, Pommern, Ermland und Masuren beziehen. Es handelt sich dabei weder um eine Lesart im Stil von Józef Hens Romans „Toast“ noch um eine Komödienfassung in der Art von Andrzej Mularczyk, deren Erkenntnisse hauptsächlich auf den Berichten und Erfahrungen der polnischen Neuansiedler basierten. Bei Pytlakowski, der – abgesehen von all den Unterschieden – Henryk Worcell und seinen Geschichten aus dem Band „Najtrudniejszy język świata“ (Die schwierigste Sprache der Welt) näher zu stehen scheint, geschah es anders. Noch enger ist sein Buch jedoch mit dem Ansatz einer völlig neuen Generation von Schriftstellern verbunden, die in Gebieten leben, die einst zu Deutschland gehörten. Sie begannen mit der vollen Stimme von Menschen zu sprechen, die als „Einheimische“ bezeichnet und verstanden wurden, als wären sie keine Polen oder Deutsche, sondern eher nur Schlesier, Ermländer oder Masuren. Pytlakowski selbst stellte diesen Zustand treffend dar: „Je mehr Paweł Huelle, Stefan Chwin oder Olga Tokarczuk über die deutsche Vergangenheit ihrer Dörfer und Städte streiten, desto tiefere Wurzeln schlägt ihre polnische Identität“ (S. 141).  

Es ist auch erwähnenswert, dass die Meinungen der „anderen Seite“, die in früheren Jahren her abschätzend als Revisionisten und ewig Gestrige bezeichnet wurden, im historischen und literarischen Diskurs zunehmend intensiver gehört werden. Obwohl viele Kreise, sowohl in Polen als auch in Deutschland, für einen solchen Meinungsaustausch nicht bereit waren oder weiterhin nicht sind, hat eine solche friedlichere Haltung insgesamt dazu beigetragen, eine neue Qualität in den polnisch-deutschen Beziehungen zu entwickeln, insbesondere auf regionaler Ebene. Ein Spiegelbild dieses grundlegenden Wandels ist u.a. der opulente Band „Poniemieckie“(2019, deutsch erschienen als „In den Häusern der anderen: Spuren deutscher Vergangenheit in Westpolen“, 2022) von Karolina Kuszyk. 

So oder so muss selbst eine objektive Wahrheit in der Darstellung der „unbequemen Geschichte Nachkriegspolens“ nicht mit dem Verständnis der polnischen Seite übereinstimmen. Dies kann unweigerlich das unsterbliche Argument vorbringen: „Es waren aber doch sie, die den Streit angezettelt haben!“, was natürlich nicht in Frage gestellt werden kann. Außerdem sollte angemerkt werden: so wie nicht von jeder Person Heldentum und Mut abverlangt werden können, ist es nicht immer möglich, Empathie für die durch internationale Abkommen vertriebenen Deutschen von ihren ehemaligen Opfern zu erwarten. Aber es ist dennoch denkbar, zumindest teilweise zu versuchen, die deutsche Gegenpartei in einem historischen Streit zu verstehen. 

Pytlakowski verlieh seinen Reportagen einen Untertitel, der gut in die Abfolge der Handlungen passt, die als Entmystifizierung der Realität der Volksrepublik Polen (PRL) beschrieben werden könnte. Und dieser Zustand lässt sich auch durch die Erfahrungen eines vor einigen Jahren verstorbenen Bewohners von Allenstein gut veranschaulichen, der nach 1945als Deutscher in dieser Stadt radikale Veränderungen erleben musste. Während des Krieges war er zu jung, um irgendwo an der Ostfront sterben zu müssen oder in hastig gegrabenen Befestigungen umzukommen, wenn er als Mitglied des Volkssturms verzweifelt versucht hätte, sich gegen die aus dem Osten vorrückende sowjetische Armee zu verteidigen. Erstens verstand dieses Mitglied der Täternation nicht ganz, woraus die offiziell so gepriesene Befreiung seiner Heimatstadt eigentlich bestehen sollte. Im besten Fall könnte es nur um Befreiung vom „Joch des Nationalsozialismus“ gehen. Andererseits verdiente er in den Augen deutscher Frauen nichts weiter als Gleichgültigkeit, denn er galt nicht als attraktiver Kandidat für einen Ehepartner, wenn auch nur wegen des Fehlens einer heroischen Kriegerkarte in seiner jungen Biografie. Aus Notwendigkeit war er schließlich gezwungen, sich unter „diesen fremden Ankömmlingen“ eine Lebenspartnerin zu suchen. Dass solche Beziehungen nicht immer erfolgreich waren, lag natürlich auch an moralischen, religiösen und kulturellen Unterschieden. Dies zeigte sich zum Beispiel in der Notwendigkeit, vom Protestantismus zum Katholizismus zu übertreten, was oft eine rein pragmatische Lösung war. Darüber hinaus bedeutete es meist auch eine endgültige Abwendung vom Muttersprachenunterricht, in diesem Fall von der deutschen Sprache, was einerseits aus einem offiziellen oder inoffiziellen Verbot durch die Behörden, andererseits aus der Zurückhaltung eines nicht-deutschen Ehepartners resultierte. Obwohl die hier dargestellte, mir persönlich bekannte Figur in Pytlakowskis Werk nicht erscheint, passt sie perfekt zu den von ihm angeführten Männerporträts, denen von Erwin, Willy, Helmut, Heinrich, Gerhard und Siegfried, sowie den von ihm dargestellten Frauenschicksalen von Helga, Anna und Ingeborg. Jener anonyme Deutsche könnte also sogar als eine Art Jedermann betrachtet werden. 

Die wichtigsten Berichte, die ein umfassendstes Verständnis des Kontexts der investigativen Untersuchungen ihres Autors ermöglichen, scheinen jene zu sein, die sich mit den Verbrechen gegen die deutsche Bevölkerung in der Weichsel-Region von Kujawien – in Aleksandrów Kujawski, Nieszawa und Ciechocinek – befassen. Ansonsten mag es bis zu einem gewissen Grad überraschen, dass es dort vor 1945 eine deutsche Diaspora gab. Die Kujawien-Episode ruft daher ein Gefühl des Erstaunens hervor, sodass einige Auskünfte über die Zwischenfälle im Umgang mit den Deutschen unmittelbar nach dem Krieg in die öffentliche Meinung eingedrungen sein müssen. Obwohl sie meist mit Schlesien, Pommern, Ermland und Masuren in Verbindung gebracht wurden, konnte dank Pytlakowskis akribischer Herangehensweise auch die vorhandene Informationslücke zu den Ereignissen in Kujawien geschlossen werden. Und obwohl der Reporter schon vor mehr zwei Jahrzehnten begann, sich mit dem Thema zu beschäftigen, bleiben die Ergebnisse seiner Bemühungen weiterhin ein eher tabuisiertes Thema. Dies erfolgt aus verschiedenen Gründen, einer davon ist das konsequente Schweigen der lokalen Gemeinschaft, die verständlicherweise dazu neigte, unbequeme Fakten zu leugnen, anstatt sich ihnen zu stellen oder zu versuchen, zu irgendeiner Reflexion darüber bereit zu sein. Kennzeichnend an all dem ist die unterschiedliche Haltung derjenigen Menschen, auf die sich der Verfasser zu den dargestellten Ereignissen bezieht. Einerseits wurde dies von einem Gelehrten geäußert, der entschied, dass das Schreiben über das Verhalten der polnischen Bevölkerung in der Nachkriegszeit nicht mit dem Ausmaß der von den Deutschen während der Besatzung Polens gegen die zivile Bevölkerung begangenen Verbrechen vergleichbar sei. Um seine Angabe zu untermauern, nannte dieser Mann das Beispiel eines Verbrechens, das an mehreren tausend polnischen Bürgern in der Nähe des nahegelegenen Städtchens Rypin begangen wurde. Andererseits bezog sich Pytlakowski auf die eher als reuevoll und versöhnlich zu bezeichnende Haltung von Pater Professor Zdzisław Pawłowski aus Thorn. Dieser Geistliche beschloss nämlich im Jahr 2000, entgegen der Widerwilligkeit vieler zeitgenössischer Einwohner von Nieszawa, in der örtlichen Kirche eine Predigt zu halten, die dem Geist der Botschaft der polnischen Bischöfe von 1965 ziemlich nahestand, weil sie die Gewalttaten an Deutschen in der Nachkriegszeit verurteilte.  

Der Reporter stellte in diesem Zusammenhang fest, dass während der Debatte über diese Ereignisse die Frage der Relativierung der Schuld des nationalsozialistischen Deutschlands nicht ausgelassen wurde. Er selbst lehnte eine solche Behauptung entschieden ab und erklärte: „Nun, es gibt kein solches Gewicht, auf das böse Taten gleichmäßig gemessen werden können. Ein Verbrechen bleibt ein Verbrechen und es spielt keine Rolle, ob es von einem Deutschen oder einem Polen begangen wurde“ (S. 125-126). Später erinnerte er sich an die bezeichnende Meinung eines anderen Diskussionsteilnehmers, der an diesem polnischen Historikerstreit teilnahm, und zwar Jacek Borkowicz: „Das Drama der Vergeltung im Massenmaßstab [...] besteht nicht nur darin, dass wir Rache nicht an denen nehmen, die es brauchen, sondern auch darin, dass es nicht diejenigen sind, die den größten Schaden erlitten haben, die Rache nehmen“ (S. 126). Diese bittere Ansicht scheint eine universelle Bedeutung zu haben. Und in Nieszawa wurde die Gerechtigkeit von selbsternannten Strafverfolgungsbeamten geübt. 

Ein Versuch, sich Anfreunden mit dem angeblich „ewigen Feind“ anzufreunden, führt daher zunehmend zu positiven Ergebnissen. Der beste Beweis dafür ist die betreffende Veröffentlichung, zumal ihr Autor es für angemessen hielt, die Akzente seiner Erkenntnisse auf die Ebene rein menschlicher Beziehungen zu verschieben. Die darin genannten unbequemen Tatsachen werden von vielen sicherlich nicht anerkannt, weshalb sie weiterhin als Randphänomen behandelt werden, das im Verhältnis zum Ausmaß des Leids der polnischen Bevölkerung im Krieg unverhältnismäßig ist. Da Pytlakowski sich dessen jedoch voll bewusst war, wollte er erneut an eine nicht neue, aber wichtige Einsicht erinnern. Im letzten Teil des Buches erklärte einer seiner Gesprächspartner: „Auf meinem Lebensweg und unter verschiedenen Umständen habe ich viele Deutsche als freundliche Menschen getroffen, die die Polen so gut wie möglich unterstützt und geschützt haben. […] Ich traf auch viele meiner Landsleute, für die ich mich bis heute schäme. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass nicht die Nationen schlechter oder besser sind, sondern die Systeme degenerierter Fanatiker, die die Massen kriminellen Taten unterwerfen“ (S. 314). 

 

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